Neuberechnung Zumutbarkeitsgrenze i.S. § 33 EStG – Finanzverwaltung empfiehlt Einspruch!

Günstige BFH-Rechtsprechung zur Zumutbarkeitsgrenze

Bereits im letzten Mandanten-Infobrief vom 01.05.2017 (vgl. dort Punkt 3) wurde auf die neue BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 19.01.2017, Az.: VI R 75/14) zur Ermittlung der Zumutbarkeitsgrenzen bei den außergewöhnlichen Belastungen i.S. § 33 EStG hingewiesen. Die Berechnung nach den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung ist für Steuerpflichtige günstiger als die bisher von der Finanzverwaltung vorgenommene Berechnung. Außergewöhnliche Belastungen – wie z.B. Krankheitskosten, Beerdigungskosten, Scheidungskosten usw. – können daher in vielen Fällen in größerem Umfang steuerlich geltend gemacht werden als bisher.

Online-Rechner

Das Bayerische Landesamt für Steuern (BayLfSt) hat einen Online-Rechner zur Ermittlung der Höhe der zumutbaren Belastung gem. § 33 Abs. 3 EStG und des Betrags der abziehbaren außergewöhnlichen Belastungen nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 19.01.2017 bereitgestellt. Mit diesem können Sie schnell und unkompliziert die Höhe der anzugsfähigen Krankheitskosten ermitteln, soweit Ihnen der Gesamtbetrag der Einkünfte bekannt ist. Zu dem Online-Rechner gelangen Sie über folgenden Link: http://www.finanzamt.bayern.de/Informationen/Steuerinfos/Steuerberechnung/Zumutbare_Belastung/

Umsetzung der neuen Rechtsprechung

Die Finanzverwaltung hat sich mittlerweile zu der o.g. BFH-Rechtsprechung geäußert. In der Mitteilung des BMF vom 01.06.2017 wird erfreulicherweise angekündigt, die geänderte Berechnungsweise solle möglichst umgehend schon im Rahmen der automatisierten Erstellung der Einkommensteuerbescheide Berücksichtigung finden. Sollte die geänderte Berechnungsweise im Einzelfall noch nicht berücksichtigt worden sein, empfiehlt sogar das BMF das Einlegen eines Einspruchs.

Reichweite des Vorläufigkeitsvermerks

Fraglich ist jedoch, welche Steuerbescheide verfahrensrechtlich noch zugunsten der Steuerzahler geändert werden können. Unstrittig ist dies bei Bescheiden der Fall, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassen wurden. Außerdem ist eine Berücksichtigung der neuen

Rechtsprechung stets möglich, wenn der Steuerbescheid aus anderen Gründen (z.B. neue Tatsachen) ohnehin geändert werden muss.

Strittig ist derzeit aber, ob nicht alle seit dem 29.08.2013 ergangenen Steuerbescheide noch hinsichtlich der neuen BFH-Rechtsprechung änderbar sind. Seit diesem Datum versehen die Finanzämter alle Einkommensteuerbescheide von unbeschränkt Steuerpflichtigen nämlich mit folgendem Vorläufigkeitsvermerk (vgl. BMF-Schreiben vom 29.08.2013, Tz. 8):

„Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gem. § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufig hinsichtlich… des Abzugs einer zumutbaren Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) bei der Berücksichtigung von Aufwendungen für Krankheit oder Pflege als außergewöhnliche Belastung…“

Der Vorläufigkeitsvermerk bezieht sich also auf die generelle Rechtsfrage, ob außergewöhnliche Belastungen (aus Krankheit oder Pflege) um eine zumutbare Belastung zu kürzen sind. Hierzu ist ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig.

Die o.g. neue BFH-Rechtsprechung setzt die Kürzung um eine zumutbare Belastung jedoch voraus und befasst sich „nur“ mit der Art und Weise ihrer Berechnung. Sie betrifft also eine nachgelagerte Rechtsfrage.

Für Vorläufigkeitsvermerke nach § 165 Abs. 1 S. 1 AO ist ständige Rechtsprechung des BFH, dass sie nachgelagerte Fragen auch mitumfassen (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 24.02.2009, Az.: IX B 176/08, m.w.N.). Ob diese Rechtsprechung auf den hier vorliegenden Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 S. 2 AO übertragbar ist, ist derzeit nicht geklärt.

Was ist zu tun?

Steuerbescheide, die nach dem 29.08.2013 ergangen sind und den o.g. Vorläufigkeitsvermerk enthalten, sollten daraufhin überprüft werden, ob außergewöhnliche Belastungen um eine zumutbare Eigenbelastung gekürzt bzw. gar nicht angesetzt wurden. In betroffenen Fällen sollte die Änderung des Steuerbescheids beantragt werden. Ob die Finanzverwaltung dem Änderungsantrag entspricht, ist jedoch fraglich. Im Zweifel sollte gegen den Bescheid über die Ablehnung der Änderung Einspruch eingelegt werden. Die Erfolgsaussichten sind jedoch völlig offen.